Rosa roja

Blog #07

Ich erzähle dir wahrscheinlich kein Geheimnis mit dem was ich dir jetzt berichte. Schon immer gehören Rosen zu meinen ganz speziellen Lieblingen und deshalb habe ich einige Rosensträucher im Garten angepflanzt. Ich liebe den Rosengarten mit all den verschiedenen Rosenarten und ihren wundervollen Düften. Durch den heurigen milden Herbst sind sie zum Teil noch in Blüte. Es ist einiges zu tun, aber es macht mir sehr viel Freude. Oft kann ich die Rosen sogar noch über den ersten Schnee hinweg bewundern, überzogen dann mit einer leichten Eisschicht.

Gerade als ich einige welke Blätter entferne und dabei den verströmenden Rosenduft inhaliere, vernehme ich ganz in der Nähe meines Ohres eine Stimme: „Hallo!“. Ich drehe mich um und überlege, ob das die Nachbarin war? Aber nein, niemand ist in der Nähe. Also zupfe ich weiter die losen Blätter sanft vom Strauch. „Hallo!!“, ertönt es resolut, „ja ich meine dich!“. Was um alles in der Welt, erschrecke ich. Macht sich da jemand einen Jux mit mir?

„Also dafür, dass wir uns eigentlich schon so lange kennen und du fast täglich mit uns sprichst, bist du aber sehr überrascht, mich jetzt zu hören!?“, vernehme ich weiter. Oh ja, das bin ich! Sehr überrascht und auch ein wenig erschrocken, denn im selben Moment neigt sich nun eine der noch blühenden Rosenköpfe etwas näher zu mir herunter. Und ich höre ganz deutlich: „Für manche mag es zwar noch ein Geheimnis sein, aber ja, wir können sprechen! War schon immer so, nur nehmen sich die meisten Menschen kaum mehr die Zeit zum Lauschen. Und mehr und mehr Menschen vergessen leider auch, ihre rosarote Herzensstimmung immer wieder aufzuladen. Dabei entsteht genau dadurch eine ganz spezielle Herzstimmungsfrequenz, mit der man uns besonders gut hört. Eigentlich wäre es auch recht einfach mit dem Aufladen, denn die gesamte Natur verfügt über diese Frequenz, aber gerade heuer scheint ihr ausnehmend oft von euren Herzmuskelkatern besucht zu werden und auch dafür wird die rosarote Herzstimmungsfrequenz zum Ausgleich benötigt. Wir haben es mitbekommen, dieses Jahr war sehr anspruchsvoll für euch.“ Ein Rosenblütenblatt streichelt sanft über meine Wange. Oh ja, dem kann ich nur zustimmen. Mein Herzmuskelkater kommt heuer auch nicht aus dem Schnurren heraus.

„Also“, führt die Rosenblüte fort, „für diesen Strauch bin ich momentan die Sprecherin. Das ändert sich so zirka alle 7 bis 10 Tage. Wir teilen uns die Kommunikation mittlerweile nämlich auf. Früher sprachen wir oftmals alle gleichzeitig, aber das war dann doch irgendwie unübersichtlich, weil es dazu führte, dass es wie ein Insekten- oder Windrauschen klang. Und das ist ja dann auch nicht sehr hilfreich, nicht wahr.“ Egal, denke ich, vielleicht bin ich ja verrückt, aber was soll‘s, eine Rose spricht zu mir. „Was genau meinst du damit?“, möchte ich gerne von ihr wissen.

„Na ja, jedesmal wenn du bei uns am Strauch stehst, stellst du Fragen über Fragen. Und wir antworten auch immer darauf, soweit wir es können. Aber bislang scheinst du uns nie verstanden zu haben. Daher beschlossen wir, jeweils einzelne Sprecherinnen und Sprecher auszuwählen, um dir zu antworten, was jetzt ja auch gut funktioniert hat. Ich heiße Esmeralde Rubinara und es freut mich und uns alle ganz außerordentlich, mit dir ins Gespräch zu kommen.“ Und wie zur Bestätigung geht ein Nicken, Summen und Rauschen durch den Rosenstrauch. Jetzt kann ich mich auch erinnern, dieses Geräusch schon öfters gehört zu haben, aber ich dachte damals tatsächlich, es seien die Insekten oder der Wind.

„Was also hast du denn heute auf dem Herzen? Oder sollen wir die Frage von gestern noch einmal beantworten?“ Ich überlege kurz, aber ich kann mich nicht an das gestrige Thema erinnern. Die Rose wohl schon. Daher sage ich in neugieriger Erwartung: „Ja bitte, das wäre sehr freundlich!“ „Nun, meine Liebe, die Vergänglichkeit, sie braucht dich nicht zu bedrücken. Es gibt sie nämlich gar nicht!“

„Nichts kann wirklich vergehen“, spricht Esmeralde weiter, „es verändert sich! Veränderung ist die Beständigkeit des Lebens. Sieh uns an. Von gestern auf heute sind einige unserer Geschwisterblüten verblüht und ihre Blätter sind auf den Boden des Gartens gefallen. Aber sie sind immer noch da, einfach nur anders. Und wir sind auch nicht getrennt dadurch. Der Humus aus unseren Blättern schafft Neues und verbindet sich wieder mit uns. So bleiben wir in ständigem Austausch miteinander. Nur weil unsere Blätter verblühen, sind wir doch nicht tot! Wir sind einfach nur anders lebend. Und es geht auch kein Wissen verloren. Im Gegenteil, dadurch, dass wir uns verändern, kommt immer mehr Wissen zusammen. Wir freuen wir uns natürlich sehr, dass du so gut für uns sorgst, aber wir selbst sind immer zeitlos und unkontrollierbar. Und um dir eine Freude zu machen, lassen etliche von uns ihre Köpfchen vom hellen Eis des ersten Frostes überziehen, um bis zum nächsten Tauwetter deinen Garten zu schmücken und ein Lächeln auf dein Gesicht zu zaubern. Wenn ich aber in einiger Zeit selbst meine Blütenblätter von mir lege, dann spricht einfach eines meiner Geschwister mit dir weiter.“ Sie kichert: „Ja und das wird dann unsere Plaudertasche Alejandro sein!“ Und eine Blüte rechts von mir schüttelt zur Bestätigung ein paar Tautropfen auf meine Wange.

Jetzt erinnere ich mich wieder, dass ich gestern über die Vergänglichkeit nachdachte und über den Sinn des Lebens, als ich beim Rosenstrauch stand. Und Esmeralde spricht weiter: „Meine Liebe, abgesehen davon, dass nichts vergeht, glauben wir auch nicht an einen bestimmten Sinn des Lebens. Aber deshalb muss man nicht verzweifeln! Im Gegenteil! Wir glauben nämlich, dass das Leben selbst der Sinn ist. Du bist hier. Wir sind hier. Für uns ist das genug Sinn. Und wir tun das, was wir können. Wir duften und stechen und wir sprechen mit dir. Weil wir dich lieben. Obwohl wir dich stechen, wenn du nicht aufpasst, bemühst du dich immer wieder um uns. Weil auch du uns liebst! Einfach nur deshalb, weil wir da sind. Die Liebe und die Veränderung sind die wahrhaften Konstanten in dieser Welt. Du gibst ein Pflaster auf deinen Finger und die Wunde heilt und wir kommen jedes Jahr immer wieder, wenn auch verändert, zu dir zurück. Wir geben uns dieser beständigen Transformation hin und freuen uns sogar darauf, weil es immer wieder neu, spannend und heilig ist. Schau genau hin im nächsten Sommer, du wirst mich sicherlich erkennen, auch ich mich wahrscheinlich ein bisschen verändert habe.“

Der frühe Novemberabend zieht in den Garten und es wird kühl. Ich lege ganz sanft meine flache Hand über Esmeralde, ohne sie wirklich zu berühren und dennoch spüre ich ein leichtes Vibrieren in meiner Handfläche. „Bist Du morgen noch da?“, frage ich.

„Heute bin da!“ Und nach einer kurzen Pause höre ich sie schmunzelnd weitersprechen: „Vermutlich morgen auch noch. Aber man weiß nie genau! Wenn in der Nacht ein eisiger Nordwind weht! ... Morgen ist morgen. Man weiß nie. Genieße heute unser Gespräch und unseren Duft. Und im nächsten Heute genieße den Dünger, den wir deinem Garten bieten.“ „Na, dann sehen und hören wir uns ja voraussichtlich morgen wieder“, beharre ich leicht verunsichert, doch Esmeralde erwidert nichts darauf.

„Schlaft gut!“, sage ich leise. Im Umdrehen höre ich Esmeralde aber noch einmal rufen: „Warte kurz, jetzt hätte ich es fast vergessen. Renaldo Rubinaros würde gerne sehen, wie du wohnst. Er wäre bereit, jetzt gleich mit dir mitzugehen.“ Ich halte inne und entgegne: „Er weiß aber schon, dass er in der Wärme des Hauses vielleicht schneller verblühen könnte?

„Was wäre das Leben ohne Spaß und ein bisschen Mut!“, höre ich nun eine andere, ein bisschen tiefere Stimme rufen. Ich sehe einen Blütenkopf wackeln und nehme an, dass das Renaldo ist. Da die Blüte weiter wackelt, nicke ihm lächelnd zu und schneide vorsichtig die Rose vom Strauch. „Super!“, ruft er ein wenig aufgeregt und er neigt sein Köpfchen Esmeralde und dem Strauch zu. „Sobald ich einen Überblick gewonnen habe, streame ich euch die Infos in den Garten!“

Das entlockt mir jetzt wirklich einen fröhlichen Lacher. „Na dann Renaldo, machen wir uns einen gemütlichen Abend! Magst du Rosendünger ins Wasser?“, frage ich, während wir ins Haus gehen. „Bloß nicht!“, ruft er entsetzt zurück. „Nur klares Wasser, sonst bin ich den ganzen Abend high und bekomme überhaupt nichts mit. Bitte stell mich dorthin, wo ich besonders viel von deiner Wohnung sehe und vergiss nicht, die nächsten Tage immer wieder mal lange durchzulüften, damit das mit dem Streamen auch gut funktioniert.“ Schmunzelnd stelle ich seine Vase auf den großen Holztisch im Wohnzimmer. Dann schließe ich die Terrassentür und höre noch wie ein sanftes Rauschen durch den Rosenbusch zieht.

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Doris Herzog

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